Psychopharmaka in Alten- und Seniorenheimen
01.08.2025Der Umzug in ein Pflegeheim ist für Betroffene und deren Angehörige ein großer Schritt – oft begleitet von vielen Emotionen, Veränderungen und offenen Fragen. Dieser Übergang markiert den Beginn einer neuen Lebensphase, in der vor allem Komfort, Sicherheit sowie körperliches und geistiges Wohlbefinden im Vordergrund stehen sollten.
Wenn wir über das mentale Wohlbefinden älterer Menschen sprechen, denken wir oft an Themen wie den Verlust geliebter Menschen, den Umgang mit Krankheiten oder eingeschränkte Selbstständigkeit. Dabei wird ein wichtiger Aspekt häufig übersehen: die Medikamente, die viele Senioren einnehmen – und wie diese sich auf Psyche und Lebensqualität auswirken können.
Häufiger Einsatz von Psychopharmaka
Studien zeigen, dass Bewohner von Alten- und Seniorenheimen deutlich häufiger Psychopharmaka wie Antidepressiva oder Antipsychotika einnehmen als Senioren, die zu Hause leben. Laut einer Untersuchung des Landesbundes der Freien Krankenkassen hat im Jahr 2024 mehr als jeder 2. Heimbewohner Antidepressiva eingenommen, fast jeder 3. zusätzlich Antipsychotika – und das oft über längere Zeiträume hinweg.
Unterschiede je nach Bewohnerprofil und Einrichtung
Die Verschreibungspraxis variiert stark zwischen verschiedenen Pflegeeinrichtungen: Während in manchen Heimen jeder 4. Bewohner kontinuierlich Antipsychotika erhält, liegt der Anteil in anderen Einrichtungen nur bei jedem 8. Auch das Profil der Bewohner beeinflusst den Medikamentenkonsum:
- Jüngere Senioren im Alter von 64 bis 75 Jahren sind häufiger betroffen.
- Personen mit stark eingeschränkter Selbstständigkeit nehmen mehr Psychopharmaka ein als mobilere Bewohner.
- Bei Frauen ist die dauerhafte Einnahme von Antidepressiva besonders verbreitet.
- Bewohner mit Anrecht auf den VorzugstarifAnrecht auf eine höhere Rückerstattung der Kosten für Gesundheitspflege. Um von diesem System profitieren zu können, darf das jährliche Einkommen der Person einen bestimmten Betrag nicht überschreiten. Mehr erhalten häufiger Antipsychotika.
Der Einzug ins Alten- oder Seniorenheim als Wendepunkt
Der Eintritt in ein Pflegeheim ist oft ein kritischer Moment für die Medikation:
- 6 Monate vor dem Umzug nehmen rund 27 % der Senioren Antipsychotika ein.
- 3 bis 9 Monate danach steigt dieser Anteil leicht auf 28,2 %.
- Der Gebrauch von Antidepressiva erhöht sich im selben Zeitraum von 43,9 % auf 47,2 %.
Es gibt jedoch auch positive Entwicklungen: Von den Bewohnern, die bereits vor dem Umzug Psychopharmaka einnahmen, konnten rund 30 % der Antipsychotika- und 14,3 % der Antidepressiva-Anwender ihre Medikation nach dem Einzug absetzen.
Wie gelingt ein guter Start im Alten- oder Seniorenheim?
Der Übergang ins Pflegeheim bietet eine wertvolle Gelegenheit für einen offenen Dialog mit dem Pflegepersonal: Ist die aktuelle medikamentöse Behandlung wirklich notwendig? Gibt es Alternativen wie gezielte Aktivitäten, psychologische Unterstützung oder einen stärker an den individuellen Bedürfnissen orientierten Ansatz?
Manche Pflegeheime setzen bereits auf innovative Konzepte wie „Tubbe“ oder „Senior Montessori“, die die Autonomie, soziale Teilhabe und Lebensqualität der Bewohner fördern. Mit Hilfsmitteln wie dem BelRAI-Screener, der in Flandern Anwendung findet, kann bei der Aufnahme eine umfassende Bedarfsermittlung erfolgen. So lassen sich gemeinsam mit dem medizinischen Team individuelle und bedarfsgerechte Betreuungspläne entwickeln.
Dieser offene Austausch ist Teil eines umfassenden Ansatzes des „Patient Empowerment“ – das Ziel ist es, jedem Bewohner das Recht und die Möglichkeit zu geben, selbstbestimmt an Entscheidungen über die eigene Pflege beteiligt zu sein.
Gemeinsam Verantwortung übernehmen
Ob Sie Angehöriger, Nachbar oder selbst zukünftiger Bewohner sind: Sie können aktiv mitgestalten. Scheuen Sie sich nicht, Fragen zu stellen, Ihre Perspektive einzubringen und einen individuellen, respektvollen Umgang zu fördern. Ein tieferes Verständnis für die Herausforderungen und Chancen beim Einzug ins Alten- und Seniorenheim ist der erste Schritt zu einer menschlicheren Begleitung und besseren psychischen Gesundheit im Alter.